Skandalös! DB konspiriert mit Wetter!

Hannover – Sollten Sie jemals in die Verlegenheit kommen, jemandem kurz und knackig das Prinzip einer redundanten Information erklären zu müssen, versuchen Sie es doch mal mit folgendem Vergleich: „Öffentlichkeitswirksame Skandale begleiten die Deutsche Bahn AG wie Möwen einen Fischkutter“. Würde dieser Satz dann mit beiläufigem Schulterzucken quittiert, könnten Sie sich für Ihr geistreiches Beispiel beglückwünschen. Sie hätten damit veranschaulicht, dass man im öffentlichen Diskurs solcher Meldungen weitgehend überdrüssig geworden ist. Wahrscheinlich, weil Großkonzerne in Sachen Affären in letzter Zeit den nötigen Einfallsreichtum vermissen lassen.

Doch jüngste Enthüllungen machen Hoffnung, dass auf der Skandala (Skandala, die: Skala, auf der Skandale hinsichtlich ihrer relativen Brisanz verortet werden) noch Platz für Eklats zu sein scheint, welche die Begeisterung einer gelangweilten Gesellschaft erneut zu entfachen vermögen. So wurden dem Schreiberling Hinweise zugespielt, wonach die Deutsche Bahn AG in eine Verschwörung verwickelt sein soll, die es in sich hat.

Rainer Schmarrn packt aus

„Ich habe Informationen, da werden euch die Gesichtszüge entgleisen“, so wörtlich ein Informant, der in diesem Artikel zum Schutz seiner Identität unter dem Alias Rainer Schmarrn geführt wird. Es gebe laut seiner Aussage dringlichen Grund zur Annahme, dass die DB seit jeher in einen Komplott mit einer vermeintlichen Wetterlobby verwickelt sei, die aus dem Verborgenen heraus agiere und wesentlichen Einfluss auf den Bahnverkehr nehme. Er verwies dazu auf eine evidente Korrelation zwischen lokalen Wetterereignissen und sogenannten Verzögerungen im Betriebsablauf, die nicht wegzudiskutieren sei. Und tatsächlich: Im Zuge dessen angestellte Recherchen von Schreiberling bestätigten Schmarrns Angaben. Man glich Wetterdaten mit Pressemitteilungen der Deutschen Bahn ab, die ausschließlich im Kontext von Zugausfällen und -verspätungen standen. Die Auswertung zeigte eine frappierende Deckungsgleichheit beider Faktoren.

Als der Schreiberling die Deutsche Bahn mit diesen Ergebnissen konfrontierte, räumte man seitens des Konzerns ein, dass gewisse Starkwetterereignisse den Zugverkehr de facto beeinträchtigen können, was bedauerlich sei. Man habe allerdings auf das Wetter per se keinen Einfluss. Auf die Frage, ob die DB Kenntnis von einer wirtschaftlichen Interessenvertretung des Wetters hätte und wenn ja, in wieweit man Geschäftsbeziehungen zur selbigen pflege, reagierte die Bahn verdächtig reserviert und verwies auf eine schriftliche Stellungnahme, die noch am selben Tag in unserer Redaktion eingegangen war:

„Die Deutsche Bahn AG bezweifelt die Existenz einer Lobby, welche die Interessen des Wetters vertritt und weist daher sämtliche Vorwürfe entschieden zurück, in eine irgendwie geartete Geschäftsbeziehung mit Mitarbeiter:innen einer angeblichen Wetterlobby involviert zu sein. Daher werden zu diesem Thema keine weiteren Angaben gemacht und es wird darum gebeten, künftig von derartigen Anfragen abzusehen.“

Schreiberling lässt nicht locker – rhetorisch brillanter Schmarrn

Doch Schreiberling stellte davon unbeeindruckt weitere Nachforschungen mit Aufsehen erregenden Ergebnissen an: In der Nähe des Hannover Hbf gelang es, in einem riskanten Manöver eine Aufnahme von einem unscheinbaren Fahrzeug zu machen, dessen Heck die ebenso unscheinbare Aufschrift „Winterdienst“ zierte. Es wurde blitzschnell geschlussfolgert: Winter hat mit Wetter zu tun! Damit verdichteten sich die Hinweise auf eine mysteriöse Schattengesellschaft und dieser Verdacht erhärtete sich noch am Abend, als plötzlich und unerwartet der Winter einbrach. Es drängte sich die Frage auf, wie in aller Welt der Winterdienst davon gewusst haben konnte. Die einzig mögliche Erklärung war, dass der Winterdienst Zugang zu geheimen Informationen in Bezug auf Wetterveränderungen haben musste.

Das alles stank gewaltig nach Lobbyarbeit und der unverkennbare Berührungspunkt zur Deutschen Bahn offenbarte sich, als diese beinahe zeitgleich verkündete, ein Streckenabschnitt zwischen Berlin und Hannover sei aktuell nicht befahrbar. In der offiziellen Erklärung begründete die Bahn die Sperrung des Streckenabschnitts mit der Kollision zweier Güterzüge, doch Rainer Schmarrn weiß es besser: „Das ist natürlich Teil der Verschwörung. Die naive Masse wird mit einem fadenscheinigen, oberflächlich plausibel klingenden Grund in die Irre geführt!“ In Wahrheit hänge die Streckensperrung mit der Wetterverschwörung zusammen. Den Einwand, dass allerdings gegenwärtig einer der Lokführer verletzt in einem Krankenhaus behandelt werde, demontierte Schmarrn schlagfertig: „Engagierter Schauspieler! In der perfekten Verschwörung gibt es keine losen Enden!“

Man dürfe nicht länger wegsehen, so Schmarrn weiter. Es sei an der Zeit, die Tatsache zu akzeptieren, dass die Deutsche Bahn einen diabolischen Pakt eingegangen sei. Und so man dies einmal verstanden habe, werde sich der geistige Nebel der gesellschaftlichen Indoktrinierung lichten, woraufhin ein sehr viel weitreichenderes Geflecht aus Gaunerei und Täuschung sichtbar würde. Denn die Konspiration der DB mit dem Wetter sei lediglich ein kleiner Baustein innerhalb eines gigantischen Lügengebildes: Dem Klimawandel. Es sei wohl gemeinhin bekannt, so Schmarrn, dass Klima die Gesamtheit regionaler Wetterereignisse über einen bestimmten Zeitraum sei. Die nächstkleinere Einheit sei wiederum das lokale Wetter. Man dürfe sich nicht scheuen, auf kleinste Details zu achten, Relationen zum Beispiel direkt auf der Wortebene zu suchen, erklärte Schmarrn: „Regionales Wetter – Regional-Express. Lokales Wetter – Lokomotive. WinterWetter. Und jetzt zieht mal schön eure eigenen Schlüsse!“ Rhetorisch brillant.

Schreiberling kapituliert

Angesichts der bestechenden Logik dieses mit chirurgischer Präzision angestellten Analyseverfahrens blieb dem Schreiberling nichts anderes übrig, als mit schwindeligem Kopf zu konzedieren, dass es sich hierbei nicht um populistischen Sophismus, sondern um fundierte Tatsachen handeln musste.

Und dennoch: Bei all dieser unzweifelhaften Beweisführung bleibt eine Frage von zentraler Bedeutung unbeantwortet: Warum das alles? So sehr sich der Schreiberling in weiteren Nachforschungen auch den Kopf zerbrach, es wollte sich einfach keine zufriedenstellende Erklärung herauskristallisieren. Müde und ermattet musste sich letzten Endes eingestanden werden, dass man die Fragen nach dem „Warum“ doch besser den Profis überlässt: Jenem Teil der Bevölkerung, der wie Rainer Schmarrn jahrelange Erfahrung im Verschwörungsmetier vorweisen kann. Denn es scheint, als bedürfe es dafür eine milieuspezifische Charakteristik des Denkens und Kombinierens, derer wir einfach nicht mächtig sind.

Der Schreiberling

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