Klimaaktivismus ist unleugbar ein Bereich des politischen und öffentlichen Diskurses, der in den letzten Jahren und spätestens seit Greta Thunberg an Brisanz gewonnen hat. Und da die Fridays-For-Future-Bewegung seit der Bundestagswahl im Herbst 2021 offenbar dem Müßiggang frönt, sah sich eine Gruppe junger Menschen in der Pflicht, den Aktivismus zur Rettung unseres Planeten wieder auf die Straße zu bringen, was sprichwörtlicher nicht umgesetzt werden könnte. So ersann die Gruppe „Letzte Generation“ ein Konzept, das dem Wischiwaschi-Aktivismus der vorigen Generationen zeigen will, wo der Hammer hängt. Denn die Bewegung um Greta Thunberg sei nach Ansicht einer Unterstützerin der „Letzten Generation“ zu einer Greta-nichts-mehr-T(h)unberg-Bewegung geworden:
„Greta hat ein Buch geschrieben! Hallo, geht’s noch!? Bücherschreiben ist doch nichts anderes als ein intellektuell selbstgerechtes Eingeständnis, den Kampf aufgegeben zu haben. Die ist ne Sesselpupe geworden, so sieht’s nämlich aus!“.
Also sei die Öffentlichkeitsarbeit des Klimaaktivismus‘ verpflichtet, umso drastischere Maßnahmen zu ergreifen, um zu demonstrieren, dass man immer noch wütend sei und willens, den Planeten zu retten. Ja, auch wenn das bedeute, dass man sich dafür irgendwo hinkleben müsse! Und genau das wird mit unbeirrbarer Akribie getan. Allerdings dermaßen konsequent, dass die Protestaktionen Gefahr laufen, gar nicht mehr wahrgenommen zu werden, da sich das Bild von festgeklebten Klimaschützer:innen mehr und mehr in den Alltag einfügt.
„Neulich bin ich beim Einkaufsbummel einfach über einen gestolpert! Das tat mir richtig leid, aber die fallen mir überhaupt nicht mehr auf!“, sagt Peter Wuttke, ein Passant in der Nähe einer Hannoveraner Einkaufsmeile, betreten. Er unterstütze die Sache der Aktivisten, betont er, während er den Motor seines SUV anlässt. Klimaschutz gehe uns alle an. Nur wünsche er sich Protestaktionen, die mehr Aufsehen erregten.
Was die ganze Sache für die Klimaaktivist:innen nicht minder kompliziert gestaltet, ist der Trend, den sie unabsichtlich mit ihren Aktionen losgetreten haben. Die sozialen Netzwerke werden aktuell von einer Beitrags-Flut überschwemmt, die das sogenannte „Glu’ing“ zum Inhalt hat; gewissermaßen eine Weiterentwicklung des früheren „Planking“. Nur balanciert man dabei seinen Körper jetzt nicht mehr in schwindelerregenden Höhen auf einem Geländer, sondern klebt sich schlichtweg daran fest. Die Politik sieht dieser Modeerscheinung mit Besorgnis entgegen; das Gesundheitsamt warnt vor den Gefahren, die mit dem Glu’ing zusammenhingen und verweist auf Meldungen der bundesweiten Notrufzentrale, wonach Rettungswagen und Feuerwehr vermehrt gefährlich unterkühlte und dehydrierte Glu’er:innen von Hochhauswänden oder Fernsehtürmen kratzen müssten.
„Die lassen sich dahinkleben und werden dann einfach vergessen“, sagt Rettungssanitäterin Anne Kornblum kopfschüttelnd.
Beim Konzern Tesa hingegen zeigt man sich erfreut. Seit die „Letzte Generation“ Produkte aus der Kleberindustrie für den Klimaschutz einsetze, bewegten sich die Absatzzahlen auf einem Rekordhoch, so ein Sprecher des Klebemittelherstellers. Darüber hinaus erfülle es den Konzern mit Stolz, dass man mit seinen Produkten aktiv zum Klimaschutz beitrage.
Im Lager der „Letzten Generation“ distanziert man sich sowohl entschieden von den so wörtlich „Bekloppten, die sich nur aus exhibitionistischen Selbstgeilheitsmotiven und Social-Media-Fanatismus irgendwo festkleben und damit unsere Sache ins Lächerliche ziehen“. Auch darauf, dass der Tesa-Konzern versuche, durch die Aktionen der „Letzten Generation“ Anerkennung in Sachen Klimaschutz einzuheimsen, reagiert man verstimmt: „Es kann nicht sein, dass ein großindustrieller Ausbeuterkonzern in der öffentlichen Wahrnehmung moralischen Profit aus unserem Kampf schlägt!“, schimpft der Aktivist Jonas Seiler. Deshalb müsse man umgehend ein Zeichen setzen und werde den für die Proteste benötigten Kleber ab sofort selbst herstellen. In der Ökoszene setze man schon seit langem auf Zero-Waste, man könne also auf ein gewisses Maß an Erfahrung auch beim Kleberkochen zurückgreifen. Die Öffentlichkeit reagiert ob dieser Ankündigung gespalten. Neben lobender Zustimmung werden auch Stimmen des Missmutes laut, nach denen es nicht sein könne, dass das durch den Krieg in der Ukraine sowieso schon knappe Weizenmehl jetzt in großen Mengen zum Herstellen von Kleber verwendet werde. Die Klimaaktivist:innen proklamieren jedoch, man werde keinen Zentimeter vom eingeschlagenen Kurs abweichen. Der Klimaschutz gehe vor. Außerdem sei der Verzehr von Weizenmehl wegen des hohen Gluten- und Kohlenhydratgehalts ohnehin mindestens fragwürdig. Durch das großangelegte Herstellen von Kleber aus Weizenmehl erweise man also nicht nur der Umwelt, sondern auch der Gesundheit der Bevölkerung einen immensen Dienst und wünsche sich, dass diese Tatsache alsbald in den Köpfen der Menschen ankomme.
Der Schreiberling